4 Jahre. Was bedeuten uns 4 Jahre? Wenn diese glücklich verlaufen, ist es eine kurze Zeit. Erfolgt Schwerwiegendes wie Krankheit, Siechtum, lange Pechsträhnen, etc. dauern 4 Jahre unendlich.

Nadia war glücklich. Das merkte man jeden Tag auf's Neue. Natürlich gab es auch manchmal Streit, oder man musste schimpfen - solche Sachen gehören zum Leben dazu.

Nadia sagte während des Tages - sobald sie natürlich sprechen konnte - immer wieder "i ha di gärn" und immer zeigte sie dabei ein liebevolles, verschmitztes, kleines Lächeln. Dieser Satz war ihr Leitspruch - es war auch ihr Vermächtnis. Beim genauen Nachdenken merkt man, dass man diese kleinen Worte immer seltener zueinander sagt. "I ha di gärn" - also auf gut Deutsch "ich mag dich" bedeutet so viel! Dass man den Anderen respektiert und auch seine ganz persönlichen Eigenarten akzeptiert. Wenn man auch nicht immer soooo glücklich ist - wie wäre denn das Leben ohne den Anderen?

Nadia genoss ihr Leben von Anfang an. Schon nach der Geburt mochte sie nicht alleine sein. Bis im 6ten Lebensmonat schlief sie nur neben uns im Bett. Dabei hatten wir eine so schöne Wiege für sie bereit gemacht. Aber kaum legten wir sie hinein- schon wollte sie mit lautem Gebrüll wieder raus - in unser Bett. Dort schlief sie sofort friedlich ein.

Als sie grösser wurde, hielten Nadia und ich (die Mama) meistens ein kleines Mittagsschläfchen auf dem Sofa. Als berufstätige Mutter genoss ich dieses Ritual an meinen freien Tagen sehr. Auch Nadia liebte es, sich eng an mich zu kuscheln und so vereint zu schlafen. Diese Zeit gehörte nur uns beiden. Nach dem Schläfchen war Nadia dann wieder frisch und munter, um mit ihrer Schwester zu spielen, zu scherzen und manchmal auch zu streiten. Diese Stunden vermisse ich schmerzlich, denn sie waren ein ganz intimer, naher Teil von uns beiden. 

 

Nadia schloss keine Freundschaften. Sie war zwar zu allen immer nett und freundlich, aber Vertrauen baute sie nur zu Personen auf, die ihr nahe standen. Das waren insbesondere die Eltern, ihre Schwester und ihre Grossmutter. Alle anderen Personen hatten ein schweres Los, an sie heranzukommen. War dieses Verhalten bewusst von ihr gesteuert? Schliesslich brauchte Sie ja auch keine engen Freundschaften, denn um diese zu pflegen würde ihr die Lebenszeit fehlen. Manchmal war es auch für uns schwierig, dass sie sich uns öffnete. Sie konnte wie eine Muschel sein, und alles in sich hinein verbergen. Auf der anderen Seite war Nadia aber sehr liebevoll und herzlich, verteilte Umarmungen und - selten - liebevolle Küsschen.

Kurz vor ihrem Tod bekamen unsere Kinder vom Grosi Wasserfarben geschenkt. Nadia malte sonst immer mit ihrer Lieblingsfarbe "grün". Alles musste immer grün sein. Als sie die Wasserfarben ausprobierte, waren die ersten "Kunstwerke" farbenfroh. Etwa eine Woche vor ihrem Tod malte sie mir ein Bild - und die gesamte Fläche war ......schwarz. Sie lachte ganz fröhlich und fragte mich, ob ich es nicht schön fände. Klar, erwiderte ich, das habe sie ganz toll gemacht. Immer wieder fragte ich mich, wieso sie das ganze Blatt nur in mit schwarzer Farbe bemalte. Kein einziger Farbfleck befand sich darin. Vielleicht war dieses Blatt ein Zeichen. Anschliessend malte sie 2 Tage lang nur schwarze Blätter und überhäufte mich damit. Spürte sie ihren Tod?

Eines Nachts, als wir gerade das Nachtgebet beendet hatten, nahm Nadia das eingerahmte Schutzengelbild von ihrer Kommode, stellte es auf die Fensterbank und schloss die Vorhänge, so dass das Bild nicht mehr zu sehen war. Daraufhin fragte ich Nadia, wieso sie denn das Bild dort hingestellt habe. So könne der Schutzengel sie ja nicht mehr gut bewachen während der Nacht. Nadia antwortete mir mit einem strahlenden Lächeln: Sie brauche den Schutzengel nicht mehr! Schade, ich habe sie nicht gefragt, was sie genau damit meinte, denn ich war über ihre Antwort zu sehr verwundert und liess sie nur kopfschüttelnd gewähren. 

Am 6. Mai 2001 wollte Nadia unbedingt in meinem Bett schlafen. Natürlich rückte ich sofort zur Seite und sie liess sich in der Mitte des Bettes nieder und kuschelte sich an mich. Das war unsere letzte gemeinsame Nacht. Als sie am 7. Mai das Fieber bekam, wollte sie auf keinen Fall in unserem Bett übernachten, obwohl es ihr nicht gut ging. Ich drängte sie noch dazu, aber sie wollte nicht. Ein weiteres Zeichen?

Ihr sonniges, fröhliches Wesen fehlt uns. Ein Teil von uns starb mit ihr. 

 


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